Dem Zauber eines Sommerabends kann sich niemand entziehen, auch nicht als (Hobby)astronomin oder -astronom, obwohl es wirklich erst sehr spät dunkel wird. Die kurzen Sommernächte (warum sind sie eigentlich so kurz?) führen uns einige wichtige astronomische Grundlagen vor Augen. Und mehr.
Bild: Sonnenuntergang auf der Wiener Sophienalpe, 23. Juni 2020
Die Zeit der langen Dämmerung
Es ist eine Folge der Neigung der Erdachse, dass übers Jahr ...
- ... die Sonne nicht zur gleichen Zeit auf- oder untergeht
- ... die Sonne nicht an der gleichen Stelle auf- oder untergeht
- ... Tag und Nacht nicht gleich lang sind
Das betrifft natürlich auch die Dämmerung. Um die Sommersonnenwende geht die Sonne in unseren Breiten gegen 4 Uhr Ortszeit im Nordosten auf, erreicht nach acht Stunden eine Mittagshöhe von mehr als 65° und geht nach 16 Stunden, also gegen 20 Uhr Ortszeit, im Nordwesten unter. Für die Nacht samt Abend- und Morgendämmerung bleiben da nur mehr acht Stunden übrig.
Die Tagesbahn der Sonne zur Sommersonnenwende.
Zu Mitternacht erreicht die Sonne eine Höhe von nur 19° unter dem Nordhorizont. Das wird knapp mit der Dämmerung, denn ...
Definition der Dämmerungsgrenzen
- ... die bürgerliche Abenddämmerung beginnt mit dem Sonnenuntergang, das ist, wenn der obere Rand der Sonne letztmalig den idealen (mathematischen) Horizont berührt;
- ... die bürgerliche Abenddämmerung endet und die nautische Abenddämmerung beginnt, wenn die Sonne sechs Grad unter den idealen Horizont gesunken ist (an der Grenze von bürgerlicher zu nautischer Dämmerung liegt die beliebte "blaue Stunde");
- ... die nautische Abenddämmerung endet und die astronomische Abenddämmerung beginnt, wenn die Sonne 12° unter den idealen Horizont gesunken ist; und
- ... die astronomische Abenddämmerung endet und die dunkle Nacht beginnt, wenn die Sonne 18° unter den idealen Horizont gesunken ist.
Somit bleibt in unseren Breiten gar nicht mehr viel Zeit für die astronomisch dunkle Nacht - für Wien kaum mehr eine Stunde, für das nördliche Waldviertel geht sich gar keine astronomische Dunkelheit mehr aus! Dann beginnt schon wieder die Morgendämmerung, un der umgekehrten Reihenfolge astronomische - nautische - bürgerliche Dämmerung (auch in der Morgendämmerung gibt es die "blaue Stunde").
Die Zeit des tiefen Vollmondes
Da der Vollmond der Sonne am Himmel gegenübersteht, läuft er im Sommer in einer Tagesbahn über den Himmel, die jener der Sonne um die Wintersonnenwende entspricht: Flach und tief im Süden liegend. Dies hat den Eindruck von besonders romantischen Vollmondnächten geprägt, wie sie in der Kunst oft ihren Niederschlag gefunden haben.
Mondaufgang überm Meer von Caspar David Friedrich - 1. The Yorck Project (2002) 10.000 Meisterwerke der Malerei (DVD-ROM), distributed by DIRECTMEDIA Publishing GmbH. ISBN: 3936122202.2. album.foto.ru3. arthermitage.org4. Erich Lessing / Art Resource, NY via artsy.net, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=151079
Die als warm empfundene, rötliche Färbung des Mondes entsteht durch die Streuung des Mondlichts in der Erdatmosphäre, die bei tiefem Stand umso deutlicher wird.
Mondaufgang, 14. 8. 2022
Speziell bei tief stehendem Mond tritt auch die Mondtäuschung zu Tage: Der Mond erscheint uns größer, als wenn er hoch am Himmel steht. Dieser noch nicht restlos erforschte Effekt der menschlichen Wahrnehmung hängt wohl damit zusammen, dass der tief stehende Mond leichter in Bezug zu bekannten Objekten - Bergen, Bäumen, Häusern - gebracht werden kann, als der hoch stehende Mond relativ allein auf dunklem Himmel.
Versuch einer Erklärung der Mondtäuschung samt Widerlegung durch eine Fotoserie links.
Was die Sonne noch beleuchten kann
Da die Sonne nicht sehr weit unter dem nördlichen Horizont steht, können ihre Strahlen hoch über uns befindliche Objekte durchaus noch beleuchten. Das betrifft hohe Schichten der Erdatmosphäre und natürlich die künstlichen Erdsatelliten.
Nachtleuchtende Wolken
Nachtleuchtende Wolken über der Wiener Sophienalpe, 5. Juli 2020
Hoch liegende Wolken in der Mesosphäre, gut 80 bis 85 km hoch, werden von der Sonne beleuchtet und streuen deren Licht in einer markanten blauen Färbung. Sie treten nicht immer auf und sind wahrscheinlich das Ergebnis einer Verunreinigung dieser Atmosphärenschicht durch Meteore oder Raketenstarts. Auf der Breite von Wien sind sie von Ende Mai bis Ende Juli zu sehen.
Künstliche Erdsatelliten
Warum wir hoch liegende Wolken und Erdsatelliten in Sommernächten so gut sehen können.
Künstliche Erdsatelliten, die die Erde in Höhen ab ca. 400 km umkreisen, geraten in einer Sommernacht oft gar nicht in den Erdschatten und ziehen die ganze Nacht hindurch ihre Bahnen über den Himmel. Was vor ein paar Jahren noch unterhaltsam war, wird mittlerweile aber zum echten Problem: In den Nächten um die Sommersonnenwende sind rund 4.000 Satellitenüberflüge mit freiem Auge zu sehen!
Sternschnuppen
Die Meinung, dass in Sommernächten besonders viele Meteore (volkstümlich Sternschnuppen) zu sehen sind, ist weit verbreitet. Ganz richtig ist das nicht. Meteore können das ganze Jahr über auftreten, zu gewissen Zeiten aber gehäuft, wenn es zu einem Meteorschauer kommt.
Dabei darf Schauer nicht falsch verstanden werden; es regnet auch nicht Sternschnuppen. Bei den intensivsten derartigen Ereignissen im Jahr dürfen wir im Regelfall nicht mehr als 100 Erscheinungen pro Stunde erwarten, und das nur in sehr dunklen, mondlosen Nächten abseits vom Licht größerer Ballungsräume.
Die drei stärksten Meteorschauer im Jahr finden Anfang Jänner (Quadrantiden), Mitte August (Perseiden) und Mitte Dezember (Geminiden) statt. Klar, dass die Perseiden so beliebt sind, denn Dezember und Jänner laden aufgrund des Wetters und der Temperatur nicht wirklich ein, auf Sternschnuppen zu warten.
Aber wie war das vorhin? Auf eine Sternschnuppe kommen heute schon zehn künstliche Erdsatelliten ...
Und zuletzt: Die Wunder des Sternenhimmels
In der kurzen Zeit der völligen Dunkelheit (sofern nicht der Vollmond die Nacht erhellt) dürfen wir den sommerlichen Sternenhimmel bewundern, der uns vor allem die hellsten Teile der Milchstraße, die wir in unseren Breiten sehen können, zeigt.
So kurz die Sommernächte sind, so lehrreich können sie sein!